Im September 1928 fand Alexander Fleming das Penicillin. Bzw. der Schimmelpilz Penicillium fand in Flemings Labor dessen Staphylokokken-Kultur, die er schlampigerweise stehen gelassen hatte, als er in den Urlaub verschwunden war. Bei seiner Rückkehr machte Fleming eine spannende Entdeckung: Dort, wo der Schimmelpilz gewachsen war, war das Wachstum der Staphylokokken gehemmt worden.
Jahre später war der Wirkstoff so weit entwickelt, dass er zum ersten Mal beim Menschen eingesetzt werden konnte. 1941 erhielt der erste Mensch Penicillin gegen eine Blutvergiftung – er verstarb allerdings trotzdem, weil nicht genug Penicillin vorhanden war. Die industrielle Herstellung begann ab 1942. 1945 erhielten Fleming und sein Mitstreiter Florey und Chain den Nobelpreis für diese Entdeckung, die tausenden Menschen das Leben rettete.
Fleming wusste, wie es ausgehen würde…
Schon in seiner Nobelpreisrede wies Fleming eingehend darauf hin, dass Penicillin nur dann Gutes tun könne, wenn es richtig eingesetzt würde: in ausreichender Dosis, ausreichend lange, und natürlich nur dann, wenn man es überhaupt mit einem Penicillin-empfindlichen Bakterium zu tun hat. Er hat ganz klar bei seiner Nobelpreisansprache – also noch BEVOR Penicillin überhaupt für jedermann zugänglich war – gesagt, dass es zur Resistenzbildung kommen wird, wenn man sich nicht an die Regeln hält.
Penicillin ist immer noch wichtig, aber leider oft nicht wirksam
Dieser entscheidende Hinweis wurde leider weitestgehend ignoriert. Schade. Staphylokokken kann man heute in der Regel nicht mehr mit Penicillin bekämpfen. Und obwohl das bekannt ist, wird Penicillin immer noch bei Mensch und Tier breitflächig und großzügig eingesetzt – und ist in den meisten Fällen überhaupt nicht notwendig. Am Anfang hat Penicillin Leben gerettet – Soldaten mit Blutvergiftung wurden behandelt. Später fing man an, Penicillin bei jeder läppischen Erkältung und Magen-Darm-Erkrankung einzusetzen. Nur geschätzte 5% dieser Erkrankungen sind überhaupt bakteriell bedingt. Und Penicillin wirkt nicht pauschal gegen alle „schlechten“ Bakterien (es weiß übrigens auch nicht automatisch, welches die schlechten und welches die guten Darmbakterien sind, die lieber bleiben sollten, wo sie sind). Das ist einigermaßen dramatisch, weil es immer noch Erkrankungen gibt, die mit Penicillin behandelt werden sollten, aber nicht können. Dagegen ist der allergrößte Anteil der Antibiotika-Verschreibungen nach wie vor total überflüssig.
Man muss doch was tun
Oft hat man den Eindruck, dass in der Humanmedizin Antibiotika verschrieben werden, weil man doch irgendwas tun muss, wenn ein kranker Mensch in die Praxis kommt – und mit der Verschreibung fühlt sich der Arzt vermutlich auf der sicheren Seite. Ich erinnere mich noch, dass mich am Anfang des Studiums eine hartnäckige Nasennebenhöhlenentzündung plagte. Als der HNO-Arzt mit zum zweiten Mal dasselbe Antibiotikum verschreiben wollte, habe ich ihn gefragt, warum – es hätte doch nicht gewirkt? (ich wusste damals noch nichts zu dem Thema, war im 1. Semester). Er wurde unwirsch und fragte mich, wie ich ne Entzündung den sonst wegkriegen wolle. Soviel wusste ich schon: Entzündung ist nicht gleich bakterielle Infektion mit Penicillin-empfindlichen Bakterien! Er fand mich dann irgendwie doof und meinte, dann solle ich auf eigene Verantwortung sehen, was ich damit mache. Hab ich dann auch. Ich hatte dann für viele Jahre kein Problem mehr mit der Nase.
Beim Tier ist die Lage ähnlich. Veracin-Voren-Auf Wiederseh´n. (Veracin: Penicillin-Kombipräparat; Voren: Cortison. Gabe alle zwei Tage). Übliche Vorgehensweise beim Kleintier. Auf Ursachensuche begibt man sich möglichst nicht, die Spritze hilft ja so gut (was meistens hilft, ist das zusätzlich verordnete Hungern und die anschließende Diät bei Magen-Darm-Störungen und die Zeit, die das Virus braucht um sich davon zu machen, bei Atemwegsstörungen).
Pferde reagieren sehr empfindlich auf Antibiotika, deshalb ist man da etwas vorsichtiger – Glück gehabt. Beim Nutztier ergibt sich die Notwendigkeit häufiger Antibiotikagaben einfach aus der Haltungsform. Mehr will ich dazu an dieser Stelle nicht sagen…
Neue Hausapothekenverordnung: alles wird gut!?
Seit Anfang 2018 haben wir eine neue Tierärztliche Hausapothekenverordnung. Seitdem darf ein Antibiotikum nur noch nach vorheriger Diagnostik verschrieben werden. Klingt doch super, nun benutzen wir Penicillin und andere nur noch in den wenigen Fällen, wo es wirklich gebraucht wird – oder? Ausnahmen bestätigen – nein bilden – die Regel. In erster Linie haben wir viel Papier und Kosten für die Besitzer, und zumindest im Luxustierbereich genug Möglichkeiten, auch ohne Diagnostik Antibiotika einzusetzen. Pferde fallen nahezu komplett in die Ausnahmeregelung.
Alternativen zu Penicillin?
Gibt es reichlich – und auch wieder nicht. Natürlich ging die Antibiotika-Entwicklung weiter. Neue Antibiotika – neue Resistenzen (man wird ja nur bedingt schlauer…).
In den meisten Fällen, in denen in den letzten Jahrzehnten Antibiotika eingesetzt wurde, hätte man einfach darauf verzichten können. Die eigentliche Alternative heißt hier Heilung unterstützen mit alternativen Methoden. Immunsystem stärken, Abwehrkräfte mobilisieren. Oft reichen Hausmittel (z. B. mal eine Ruhepause einlegen – das ist es nämlich eigentlich, was der Körper gerne möchte, wenn er sich einen Infekt einfängt). Viele lange bekannte Hausmittel haben sogar eine antibiotische Wirkung. Doch ist die oft gar nicht notwendig. Oft sind Virusinfekte die Ursache – dagegen hilft das beste Antibiotikum nicht. Bei chronischen und immer wiederkehrenden (und somit auch chronischen) Infekten ist man gut beraten, sich Hilfe bei einem Alternativmediziner bzw. naturheilkundlich arbeitenden Tiermediziner zu holen.
Und noch etwas, das oft übersehen oder falsch verstanden wird: ein Antibiotikum ist nicht in der Lage 100% der „falschen“ Bakterien im Körper zu finden und zu eliminieren. Eine Antibiotikatherapie kann höchstens ein Bruchteil der Erreger töten – oder auch nur an weiterer Vermehrung hindern – und es beeinträchtig ausserdem erheblich die „Guten“. Die Darmflora bzw. gesamte Schutzflora des Organismus leidet und braucht eine Weile, um sich zu erholen (was ohne Hilfe oft gar nicht gelingt). Nach jeder Antibiose findet man Resistenzgene in der normalen Darmflora des Patienten! Das tut erstmal nichts, aber natürlich werden so die Resistenzgene immer weitergegeben.
Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum
Fazit: es gibt keinen Grund, Antibiotika grundsätzlich zu verteufeln, denn sie können tatsächlich Leben retten. Verteufelt werden muss der Umgang damit, der dazu geführt hat, dass wir uns keine 100 Jahre nach Flemings Entdeckung – und im Prinzip kein halbes Jahrhundert seit seiner Anwendung – im postantibiotischen Zeitalter befinden. In dieser Zeit haben die Anwender es geschafft, multiresistente Bakterien entstehen zu lassen, die Darmflora vieler Menschen und Tiere dauerhaft zu beeinträchtigen und auch die Mikroorganismen in der Umwelt zu verändern. Herzlichen Glückwunsch! Und: tut und Leid, Alexander; wir wissen, dass du das nicht gewollt hast…